Farbe und Gebiet

In der geometrischen Abstraktion modellieren die bildnerischen Grundkräfte Farbe und Form in ihrer Wechselwirkung den Bildkörper. Einer klaren Struktur folgend werden Konzepte ins künstlerische Verfahren eingeführt, die versuchen, den Aufbau unserer Welt nach einem sinnlichen wie auch rationalen Schema zu erfassen.

Die Formeln dieser entitären Prinzipien beforscht Jürgen Bauer in seinen Bildern. Basierend auf der Darstellung geometrischer Figuren sind seine Arbeiten konstruktiv als auch abstrakt, exakt wie intuitiv. Die Methode des Künstlers ist eine de/konstruierende, die in ihrer Anwendung die Grenzen des Bild-Raums absteckt oder überwindet und ihn folglich zum phänomenologischen Laboratorium erweitert. Das Fundament hierfür legt die Farbe. Im Sinne der substanziellen Beschaffenheit wie auch einer psychophysischen Wahrnehmung ist sie das wesentliche Material für Bauer. Mit der Farbe bildet er Flächen. Diese formen sich zu Ebenen, welche durch ihre Teilmengen Bereiche hervorbringen, die schließlich Gebiete konstituieren. Diese Farbkonfigurationen bauen Spannung auf, erzeugen perspektivische Verschiebungen, Raumillusionen und loten die Tiefe der Oberfläche aus. Im nächsten Prozess können neue Körper entstehen und das Bild zu einem multistabilen Objekt weiterformulieren.

Parallel beschäftigt sich Bauer mit dem konkreten Motiv des sattelbedachten Hauses. Ähnlich einem Piktogramm reduziert es der Künstler auf seine minimale Grunderscheinung. Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Ist es ein Haus, das wir sehen oder dessen Vision? Die Deutungsmöglichkeiten der Hauskontur als Sujet sind mannigfaltig, doch seinem Wesen ist stets ein territorialer Charakter immanent. In letzter Konsequenz bedeutet es immer die Inbesitznahme von Fläche und ist ein Symbol für Gebietsanspruch. Bauer geht hier im repetitiven Verfahren noch weiter und verstärkt das Gegenständliche des Bildes, indem er das Haus aus der Zwei- in die Dreidimensionalität erwachsen lässt. Das Haus wird als raumgreifendes Objekt in verschiedenen Größen und Ausführungen konzipiert, etwa als einzelnes körperhaftes Modell oder als sequenzieller Aufriss, die unsere Wahrnehmung wie auch deren Bedingungen prüfen. Seine Werke reagieren somit innerhalb eines Bezugsystems, in dem die Wirkungsmacht der Geometrie als universales Element unseres Seins analysiert wird.

Durch Konstruktion, Zerlegung und Neuanordnung schafft Jürgen Bauer Entwürfe zwischen Evidenz und Fiktion, denn „es ist eine allgemeine Überzeugung, dass die Geometrie mit allen ihren Wahrheiten in unbedingter Allgemeinheit gültig ist für alle Menschen, alle Zeiten, alle Völker, für alle nicht bloß historisch faktischen, sondern überhaupt erdenklichen.“[1]

Anna Fliri, Wien im März 2022


[1] Edmund Husserl, „Der Ursprung der Geometrie“, in: Jacques Derrida, Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. Ein Kommentar zur Beilage III der »Krisis« (Übergänge, Bd. 17), München: Wilhelm Fink Verlag, 1987, 231.