(15) Fifteen Seconds Delay

Exhibition at OSME Gallery Vienna, Nov. 16, 2017 - Jan. 28, 2018

Text: Anne Katrin Feßler

Als „15 Seconds Delay“ bezeichnet man laut einer Studie des MIT an der University of California, jene Verzögerung, die es unserem Gehirn ermöglicht, die alltägliche Reizüberflutung zu verarbeiten. Die MIT-Studie konnte mit Hilfe einer Vielzahl von Experimenten nachweisen, dass unser Gehirn innerhalb von 15 Sekunden nur sehr wenige Veränderungen registriert. „Was wir in der Gegenwart sehen, ist kein aktueller Schnappschuss, sondern vielmehr ein Durchschnitt dessen, was wir in den letzten 10 bis 15 Sekunden gesehen haben“, sagt der Neurowissenschaftler Jason Fischer. Das macht das, was wir wahrnehmen zu einem Mix aus Gegenwart und Vergangenheit. Als Kontinuitätsfeld wird dieses Phänomen bezeichnet, das unter anderem erklärt, warum wir Fehler im Filmschnitt schwer bis gar nicht bemerken können.

„Das Kontinuitätsfeld glättet, was sonst eine nervöse Wahrnehmung von Objektmerkmalen im Laufe der Zeit wäre“, sagt David Whitney, Professor für Psychologie und Hauptautor der Studie. Im wesentlichen gleiche es verschieden aussehende, aber nicht gänzlich unterschiedliche Objekte einander an. Das sei überraschend, weil es bedeute, dass die Genauigkeit einer kontinuierlichen, stabilen Wahrnehmung von Objekten geopfert wird.

In einem Test wurden Teilnehmer gebeten, auf einem Bildschirm eine zufällige, Folge schwarz-weißer, in unterschiedlichen Winkeln erscheinender Balken oder Gitter zu beobachten, die alle fünf Sekunden wechselten. Im Anschluss galt es, den Winkel eines Stabs so zu korrigieren, dass er mit jedem der zuvor gesehenen übereinstimmt. Nach hunderten solcher Aufmerksamkeitsübungen war den Forschern klar, dass der Winkel der drei zuletzt angesehenen Gitter starken Einfluss hatte. „Obwohl die Bildersequenz zufällig war, wurde die Wahrnehmung der einzelnen Personen von einem gegebenen Bild stark von den vorangegangenen Bildern verzerrt,“ sagt Neurowissenschafter Fischer, der dieses Phänomen „perzeptuelle Serienabhängigkeit“ nennt. Es stellte sich heraus, dass viele vertraute Gegenstände und sogar Gesichter gar nicht so real sind, wie wir gedacht haben. Das menschliche Gehirn kaschiert demnach viele Details.

Die Studie gab Jürgen Bauers Serie Fold spannende Impulse. „In meinen neuesten Arbeiten geht es um Wahrnehmung. Was mich an der Studie interessiert hat, ist der Umstand, dass wir das Leben demnach nicht 1:1 erleben, sondern es in verdauliche Portionen teilen. Das heißt, wir müssten uns eigentlich immer der Frage stellen, was real ist. Da spielt nun noch ein anderes Thema, das ich seit langem verfolge, hinein: Simulation und Manipulation von Realität.“

Um Manipulation von Wahrnehmung geht es, wenn er etwa große Farbflächen so auf der Bildfläche arrangiert, dass sie sowohl räumlich als auch flächig gesehen werden können. In anderen Arbeiten überlagern sich mehrere Farbschichten – teils deckend teils transluzierend, um Bewegung oder Objekte verschiedener Materialität zu simulieren. Aber nicht nur der „gefüllte“, sondern auch der „leere Raum“ der Bildfläche, ist Teil von Jürgen Bauers Konzept: Wenn er mit schwarzer Farbe die Außenkanten des Papiers bemalt, wird der Weißraum, oder wie es Bauer nennt „der negative Raum“, zum eigentlichen Bild. Auf die Spitze getrieben ist diese Reduktion in der Serie Fold Reduced, die in ihrer Einfachheit die Konsequenz seiner Raumstudien ist.

Auf simulierte Bewegung fokussiert die Gruppe der Fold Sequence-Arbeiten. Die Motivsequenzen bestehen meist aus vier bis sieben Bildern und stellen Bewegungsabläufe dar, die teils vom realen, teils vom digitalen Raum inspiriert wurden. So ist zum Beispiel die sechsteilige Serie „Fold Sequence (End of Journey)“ die reduzierte Darstellung einer von Navigationsprogrammen bekannten Straßenkarte. Auch in den Arbeiten zur simulierten Bewegung gibt es sowohl komplexe als auch reduzierte Serien. Bauer will damit dem Umstand Rechnung tragen, dass man sich nicht immer durch gleich dichte und komplexe Umgebungen bewegt: „Man geht ja nicht immer durch den Supermarkt, sondern spaziert ja auch mal durch optisch ruhigere Zonen. Auch das Bewegungstempo ist ein Faktor. Ein Lattenzaun wirkt solange ruhig, so lange man lediglich vor ihm steht, je schneller man jedoch an ihm vorbeigeht umso stärker die rhythmische Wirkung, die dem Flackerlicht des Stroboskops gleicht.“

 

„15 second delay“ University of California, Berkeley and Massachusetts Institute of Technology (MIT)
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Exhibition view (15) Fifteen Seconds Delay, Jürgen Bauer

Exhibition view (15) Fifteen Seconds Delay ©Photo: Björn Segschneider

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(15) Fifteen Seconds Delay, Artist Book Flyer

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